Reiseziel Santiago de Chile
Verkehrt und vertraut Stadtführung. Dieses Gefühl stellt sich unweigerlich ein, wenn du dich nach 17 Stunden Flug auf die Plaza de Armas, den Hauptplatz von Santiago de Chile, setzt und den Blick kreisen lässt. Verkehrt ist schon die Jahreszeit hier auf der Südhalbkugel. Vielleicht bist du ja im deutschen Nieselherbst abgeflogen und findest dich nun im strahlenden Frühling wieder. Die Sonne steht zu Mittag zwar im Norden, aber sie wärmt zuverlässig. Vertraut europäisch scheint die Szenerie: hier spanisch anmutende Arkaden, dort ein herausgeputztes Palais, an der Ecke ein moderner Spiegelglasturm neben der neoklassizistischen Kathedrale. Vertraut auch die Gesichter der Menschen: typische Latinos? Fehlanzeige! Sie unterscheiden sich kaum von denen in Frankfurt, Rom oder London: gehetzte Yuppies in Designer-Anzügen, kichernde Schulmädchen in Uniform, fossile Bürohengste in grauer Kluft, selbstbewusste Managerinnen mit Iphone am Ohr.
Auf der Plaza sitzt du im Auge des Hurricans: Während ringsum die Hektik der Millionenstadt regiert, verfallen die Menschen hier in den Schlenderschritt, schauen den Schachspielern über die Schulter oder lauschen einem Streichquartett. Als verkehrt erweist sich das Klischeebild der chaotischen lateinamerikanischen Metropole, ruhig und zivilisiert geht es hier zu: Kein Bettler fleht dich an, kein Taxifahrer hupt dir hinterher, höchstens ein Straßenverkäufer versucht es mit seinem Billigschmuck bei dir. Keine Spur von dem extrovertierten Temperament, das etwa die Argentinier auszeichnet. Freilich verstehst du die Chilenen anfangs kaum, auch wenn du glaubst, Spanisch zu können: Hier sind die Meister im Schnellsprechen und Verschlucken von Endungen zu Hause.
Und doch kommst du schnell ins Gespräch mit dem Banknachbarn, der die Zeitung liest, oder dem Verkäufer, der sich als Deutschstudent entpuppt, und plötzlich ist alles ganz anders. Die Chilenen sind unaufdringlich, aber neugierig und ernsthaft interessiert an dem Besucher aus Europa. Woher, wohin, ¿Te gusta Chile? (Gefällt dir Chile?) sind stets die ersten Fragen. Und dann stellt sich heraus, dass der Schwager einer Tante mal in Hamburg gelebt hat genau wie du, und im Nu bist du ein amigo und am Sonntag zum Grillen eingeladen. In den Genuss der herzlichen Gastfreundschaft der Chilenen wirst du auf deiner Reise noch oft kommen.